“Qué hacemos con los pesos?” - Was machen wir mit den Pesos? So heißt eine der vielen TV-Sendungen, die sich Tag für Tag in Argentinien mit Wirtschaftsthemen befassen. Meist geht es darum, wie sich die Verbraucher gegen den ständigen Kaufkraftverlust ihrer Peso-Einkommen schützen können. Die “in der Hand brennenden” Pesos so schnell wie möglich loszuwerden ist angesichts der immer schneller galoppierenden Inflation zur Regel Nummer eins geworden. Nur so ist zu erklären, dass der Absatz von Waren des Grundbedarfs in Argentinien unmittelbar in die Höhe schoss, nachdem die Regierung Mitte August eine Abwertung des offiziellen Peso um 22 Prozent verfügt hatte. Immer schneller dreht sich die Spirale aus Abwertung, Inflation und Löhnen. Letztere hinken gewöhnlich hinterher - seit 2017 sind die Reallöhne um 27 Prozent gefallen, kalkuliert die Beratungsfirma Ecolatina. Um irgendwie über die Runden zu kommen, gehen immer mehr Mitglieder eines Haushalts arbeiten, zeigt die Arbeitsmarktstatistik. Was aus dem Peso werden soll, ist gleichsam zu einem Kernthema des Wahlkampfs für die Präsidentenwahlen im Oktober (und einer möglichen Stichwahl im November) geworden. Vor allem für den libertären Kandidaten Javier Milei, der nach seinem überraschenden Sieg bei den Vorwahlen nun als Favorit gilt, ist die “Dollarisierung” neben einer Entmachtung der “Kaste” - so nennt Milei das Establishment in Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Medien - zum wichtigsten Leitmotiv geworden. Eine Mehrheit von Ökonomen im In- und Ausland lehnt die Übernahme des Dollar als Landeswährung in Argentinien freilich ab. Nicht nur, weil Argentinien gar nicht über die notwendigen Dollarreserven verfüge, um die umlaufenden Pesos und Bankguthaben in Dollar umtauschen zu können. Vielmehr sei der Dollar grundsätzlich für Argentinien als Währung nicht geeignet, weil die argentinische Volkswirtschaft kaum mit jener der USA verbunden sei. Dies aber gilt in der Wirtschaftstheorie als Grundvoraussetzung für einen “optimalen Währungsraum”. Zudem könnten weltwirtschaftliche Schocks wie ein Rückgang der Exportpreise nicht mehr durch eine Abwertung des Peso abgefedert werden. Noch stärkere Ausschläge der Konjunktur wären die Folge. Rund 200 argentinische Ökonomen warnten Mitte September in einem offenen Brief, die von Milei propagierte Dollarisierung sei eine “Fata Morgana”, “eine falsche Abkürzung”, die Argentinien “nur zu einer neuen und noch dramatischeren Frustration” führen würde. Das Beispiel Ecuador zeigt, dass die Dollarisierung allein nicht für Wirtschaftswachstum und solide Staatsfinanzen sorgt. Selbst Javier Milei ist von seinem Wahlkampfschlager mittlerweile ein wenig abgerückt. Er wolle keine Implementierung des Dollar als Landeswährung, sondern einen freien “Wettbewerb der Währungen”. An dem Plan, die Zentralbank zu schließen, hält der selbst ernannte Anarchokapitalist bislang fest. Unter den Milei nahestehenden Ökonomen kursieren derweil unterschiedliche Vorschläge für die Währungsreform. Was am Ende gilt, weiss niemand. In jedem Fall setzt Milei auf die Rückkehr der im Ausland, in Banksafes oder in Sparstrümpfen gehorteten Dollars in das heimische Finanzsystem, um die Währungsumstellung finanzieren zu können. Der Umtausch von Pesos in Dollar (oder andere Währungen) werde “zum Marktkurs” erfolgen. Auch Milei dürfte allerdings kaum bereit sein, freiwillig die hohen politischen und sozialen Kosten in Kauf zu nehmen, die eine sofortige Umstellung von Peso auf den Dollar unter den gegebenen Umständen fehlender Reserven und hoher Pesoschulden bedeuten würde. Die geplante Umstellung des Währungssystems könne bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen, heißt es jetzt. Eine drastische Abwertung des Peso und die Restrukturierung von Schulden würde sonst wohl kaum zu vermeiden sein. Immer mehr Ökonomen sehen allerdings inzwischen das Risiko einer Hyperinflation, die Pesoschulden und -guthaben so stark entwerten könnte, dass ein Umtausch in Dollars eher möglich wäre - ähnlich wie bei der Hyperinflation von 1989 und 1990, die seinerzeit den Weg für die 1991 eingeführte Eins-zu-eins-Bindung der argentinischen Währung an den Dollar bereitet hatte. Auch die konservative Oppositionskandidatin Patricia Bullrich befürwortet eine Währungsreform hin zu einem bi-monetären System, bei dem der Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel neben den Peso treten soll. Bullrichs Schatten-Wirtschaftsminister Carlos Melconian betont jedoch, die Währungsreform sei lediglich ein kleiner Teil eines umfassenden Reformprogramms, das alle Bereiche der Wirtschaft erfassen solle. Im Mittelpunkt stehe die Beseitigung des Staatsdefizits, das Melconian wie viele andere Ökonomen als Hauptursache der Inflation ansieht. Auch der ehemalige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo, Vater der Dollarbindung in den 1990er Jahren, rät von einer weiteren Maxi-Abwertung ab, solange das Staatsdefizit nicht ausgemerzt sei. Die Abwertung bewirke sonst bloß einen entsprechenden Anstieg der Verbraucherpreise, was zu sozialen Unruhen und dem frühzeitigen Verlust des Vertrauens in die Regierung führen könne. Wirtschaftsminister Sergio Massa, der sich für die regierenden Peronisten um die Präsidentschaft bewirbt, schraubt das Staatsdefizit derweil durch im Tagesrhythmus verkündete Wahlgeschenke immer weiter in die Höhe. Der renommierte Wirtschaftsberater Miguel Angel Broda kalkuliert als Erbe der Regierung ein Staatsdefizit von mehr als 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sowie ein “quasifiskalisches” Defizit der Zentralbank von 12 Prozent des BIP. Da Argentinien von Krediten weitgehend ausgeschlossen ist, erfordere dies eine immer höhere Geldschöpfung, die im Extremfall zur Hyperinflation führen könne. Alle aussichtsreichen Kandidaten - auch Massa - haben sich für 2024 einen mehr oder weniger drastischen Abbau der Staatsausgaben auf die Fahnen geschrieben. Die Frage ist, wer am ehesten in der Lage wäre, seine Pläne im Falle eines Wahlsieges tatsächlich umzusetzen. Denn egal wer gewinnt, aller Voraussicht nach wird keiner der Kandidaten über eine Mehrheit im Parlament verfügen. Besonders schwach wäre die Position des Überraschungsfavoriten Milei, der auf die Unterstützung von großen Teilen der verhassten "Kaste" angewiesen wäre. Theoretisch zumindest dürfte es im neuen Kongress immerhin eine klare Mehrheit für stabilitätsorientierte und marktfreundliche Reformen geben. Zudem darf die nächste Regierung bei allen Währungs- und Finanzproblemen auf kräftigen Rückenwind für die Realwirtschaft hoffen. Allein die Normalisierung der Agrarproduktion nach der verheerenden Dürre dieses Jahres dürfte die Lage am Devisenmarkt entspannen und den zumindest anfangs zu erwartenden Einbruch der Konjunktur 2024 abfedern. Mittel- und langfristig gibt es Grund für Optimismus. Argentiniens Potential im Energiesektor oder bei kritischen Rohstoffen, die für die globale Energiewende benötigt werden, ist immens. Der altgediente Wirtschaftsguru Broda meint: “Bei einer Stabilisierung der Makroökonomie ist es kaum möglich, dass es Argentinien nicht gut ergehen wird.“ Kontakt: Carl Moses (Carl.Moses@gmx.net)
Nach dem Antrag auf Mitgliedschaft der argentinischen Regierung während des Gipfeltreffens der BRICS-Staaten im Juni 2022 wurde dieser auf dem diesjährigen Treffen Ende August bestätigt: Argentinien soll gemeinsam mit Ägypten, Äthiopien, dem Iran, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten dem Staatenverbund beitreten. Die bisherigen BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) verbindet eine große Bevölkerung (zusammen mehr als 42% der Weltbevölkerung), ein riesiges Territorium (30% der Landmasse der Erde) und eine gigantische Menge an natürlichen Ressourcen. Sie erwirtschaften gemeinsam 23% des globalen BIP und tragen mit 18% zum Welthandel bei, was sie als Investitionsstandort attraktiv macht. Die argentinische Regierung will mit der Aufnahme in den Staatenverbund den internationalen Handel fördern, neue Märkte erschließen sowie bestehende Märkte konsolidieren, was zum produktiven Aufschwung des Landes beitragen soll. Bereits jetzt liegt der Anteil der BRICS-Staaten am argentinischen Außenhandel zwischen 20 und 30% der Gesamtausfuhren. Darüber hinaus eröffnet sich die Möglichkeit, in naher Zukunft ein Darlehen von der neuen Entwicklungsbank der BRICS zu erhalten, was in Anbetracht der maroden Staatsfinanzen ausgesprochen attraktiv erscheint. "Die BRICS spielen aufgrund ihres enormen institutionellen und finanziellen Gewichts eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung einer globalen Finanzarchitektur, die den Bedürfnissen von Wachstum, Handel, Investitionen und sozialem Wohlergehen Rechnung trägt, wovon Argentinien als Vollmitglied profitieren wird, indem es seine Verhandlungskapazitäten stärkt und seine Handels- und Finanzmöglichkeiten zum Nutzen der gesamten Bevölkerung ausbaut", so die Regierung. Jedoch sind durchaus nicht alle von den Vorteilen eines Beitritts zu den BRICS überzeugt. Vor allem nicht Particia Bullrich, Vertreterin der derzeitigen Oppositionsallianz Juntos por el Cambio (JxC) und Javier Milei, Vertreter von La Libertrad Avanza, die neben Sergio Massa, der das aktuelle Regierungsbündnis Union por la Patria vertritt, bei den Wahlen am 22. Oktober für das höchste Staatsamt kandidieren. Patricia Bullrich sprach sich nach den Ankündigungen der aktuellen Regierung umgehend gegen einen Beitritt zu dem Staatenverbund aus, in dem Falle das sie zur Präsidentin gewählt wird und JxC die Regierung übernimmt. Sie kritisierte, dass Präsident Alberto Fernandez trotz seiner politischen Schwäche und im Kontext eines wahrscheinlich kurz bevorstehenden Regierungswechsels, den Beitritt Argentiniens zu den BRICS-Staaten zugesagt hat. Sie sprach sich gegen die Zusammenarbeit mit Russland aus, während die Invasion in der Ukraine weiterhin anhält, sowie mit dem Iran, mit dem Argentinien aufgrund antisemitischer Terroranschläge im Land tiefe Verwerfungen hat. Auch Javier Milei lehnt den BRICS-Beitritt ab. Er sieht die geopolitische Ausrichtung einer Regierung unter seiner Führung in der Nähe zu den USA und Israel und sagte wörtlich: „Wir werden uns nicht mit Kommunisten verbünden.“ Eines seiner populärsten und auch umstrittensten Vorhaben im Falle der Regierungsübernahme ist die Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft, während die BRICS-Gruppe für einen Weg zur Entdollarisierung der Weltwirtschaft steht. Vor diesem Hintergrund wird es zu einem Beitritt zum BRICS-Staatenverbund wohl nur bei einem Wahlsieg Sergio Massas kommen. Da sich das Ergebnis der Wahl nicht zuverlässig vorhersagen lässt, wird es Gewissheit zu diesem Thema erst nach dem 22. Oktober, im Falle einer Stichwahl ggf. sogar erst nach dem 19. November, geben. Kontakt: Christina Keim / ckeim@ahkargentina.com.ar
Agrartechnologie (AgTech), Biotechnologie (BioTech), Finanztechnologie (FinTech), E-Commerce und Software/SaaS sind die Sektoren, die in den letzten zwei Jahren die meisten Investitionen angezogen haben (mehr als 3 Mrd. USD) und in denen es gleichzeitig zahlreiche hochinnovative Start-ups gibt. Neben den Start-ups tragen auch große Unternehmen aktiv zur digitalen Transformation in Argentinien bei: Hier sticht der argentinische IT- und Softwareentwickler Globant hervor, sowie internationale Akteure, darunter deutsche Unternehmen wie Balluff, Festo, ifm electronic, Phoenix Contact, SAP oder Siemens. Die in Argentinien eingesetzten Industrie 4.0-Technologien kommen vor allem aus Europa, allerdings ist das Land im regionalen Vergleich ebenfalls in der eigenen Technologieentwicklung stark. Alle wichtigen Wirtschaftssektoren des Landes, allen voran der Agrarsektor, bieten ein hervorragendes Potenzial für Lieferanten von hochwertigen Komponenten und Technologien, die auf dem lokalen Markt nicht verfügbar sind. Unter den untersuchten Branchen des verarbeitenden Gewerbes lässt sich nach Meinung mehrerer Experten folgende Reihenfolge der technologischen Reife feststellen: (1) Automobilsektor, (2) Pharmaindustrie, (3) Nahrungsmittelindustrie, (4) Metallurgie- und Stahlsektor, (5) Agrarsektor. Generell befinden sich die argentinischen Unternehmen noch in einem frühen Stadium ihrer digitalen Transformation, sind sich aber zunehmend der Dringlichkeit der Digitalisierung und des Einsatzes von effizienzsteigernden Technologien bewusst. Viele werden in den kommenden Jahren mit dem Einsatz von 4.0-Technologien beginnen und erarbeiten derzeit die Grundlagen dafür. Es gibt aber auch Unternehmen, die bereits einen hohen technologischen Reifegrad haben. In ihrem Fall sind vorausschauende Wartung, Cybersicherheit, IoT, KI und Big Data & Analytics die gefragtesten Technologiekategorien. Es besteht also eine branchenübergreifende Nachfrage nach Software wie Wartungssysteme, Qualitäts- oder Produktionsplanung bis hin zu hochentwickelten Lösungen. Allerdings ist der Kostenfaktor aufgrund der derzeitigen starken Abwertung des argentinischen Pesos ein Hindernis. Mehrere Unternehmen haben erfolgreich Untersuchungen zu ihrer digitalen Transformation durchgeführt, dann aber entweder die Projekte nicht umgesetzt oder begonnen, aber nicht abgeschlossen. Es ist zu beobachten, dass bei den Firmen, die ein Beratungsunternehmen zu diesem Zweck beauftragen, die Wahrscheinlichkeit, einen konkreten Transformationsplan zu erstellen und auch umzusetzen, erheblich höher ist. Allerdings mangelt es im Land noch an erfahrenen Beratern für die digitale Transformation, die in der Lage sind, die richtigen Fragen zu stellen und zu bestimmen, wo und wie man beginnen sollte. Der Transfer von deutschem Know-how und die Ausbildung von spanischsprachigen Beratern wurde von mehreren Branchenexperten als große Chance genannt. Praxisnähe und Spezialisierung auf einen Sektor oder eine Technologie sind wichtig. Es gibt viele gut ausgebildete Ingenieure, Informatiker und andere Fachleute, die für diese Rolle gute Voraussetzungen mitbringen. Für deutsche Technologieunternehmen gibt es viele Möglichkeiten, in Argentinien Fuß zu fassen. Zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren für den Markteintritt gehören eine detaillierte Marktanalyse, ein überzeugendes und qualitativ hochwertiges Produkt oder Dienstleistung, Sprachkenntnisse, eine gute lokale Vernetzung, Kreativität und lösungsorientierte Flexibilität. Die AHK Argentinien organisiert derzeit gemeinsam mit dem German Accelerator im Rahmen des Markterschließungsprogramms des BMWK eine Geschäftsreise für deutsche Unternehmen aus dem Bereich Digitale Transformation nach Chile und Argentinien, die vom 7.-11. August 2023 stattfindet. Quelle: "Digitaler Wandel in Argentinien; Status Quo, Chancen & Herausforderungen in ausgewählten Sektoren" (2023). Eine Marktstudie, die von der AHK Argentinien in Zusammenarbeit mit dem German Accelerator erstellt wurde. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: Nora Hildebrand / nhildebrand@ahkargentina.com.ar
Schon das Warmlaufen zu den Wahlen in Argentinien im Oktober 2023 ist an Spannung und Drama kaum zu überbieten. Seit dem 24. Juni steht immerhin fest, wer für die Kür des nächsten Präsidenten oder der nächsten Präsidentin Argentiniens zur Vorauswahl steht - und vor allem auch, wer nicht. Bei den “offenen, simultanen und obligatorischen Vorwahlen” (PASO in der argentinischen Abkürzung) werden am 13. August die definitiven Präsidentschaftskandidaten und sonstige Kandidatenlisten der jeweiligen Parteien für die Wahlen am 22. Oktober bestimmt. Nach einem zähen und am Ende sehr turbulenten Prozess konnte sich das peronistische Regierungsbündnis auf einen vermeintlichen “Kandidaten der Einheit” verständigen. Besser gesagt, der amtierende Wirtschaftsminister Sergio Massa setzte gegen alle internen Widerstände - insbesondere gegen Präsident Alberto Fernández und Vizepräsidentin Cristina Kirchner - seine eigene Kandidatur durch. Massa soll nun die in “Unión por la Patria” (Union für das Vaterland, UxP) umbenannte Peronisten-Allianz auch für Antikirchneristen und Bürger aus der politischen Mitte wählbar machen. Dass ein Wirtschaftsminister trotz 140 Prozent Inflation und rasant zunehmender Armut ein wettbewerbsfähiger Präsidentschaftskandidat sein könnte, ist nicht leicht zu vermitteln. Doch der weitgehend ideologiefreie Pragmatiker Massa ist ein Vollblutpolitiker und erfahrener Wahlkämpfer, der seine Haut teuer verkaufen wird. Der als wirtschaftsfreundlich geltende Massa wurde im August 2022 als Notretter zum Minister berufen und hat bisher immerhin verhindern können, dass Argentiniens Wirtschaft vollends im Chaos versunken wäre. Im Ministeramt verbleibend wird Massa weiterhin dafür verantwortlich sein, ein Ausufern der Finanz- und Währungskrise zu verhindern und den dafür erforderlichen Ausgleich mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu wahren. Ganz geschlossen ist die “Einheit” der regierenden “Vaterlandsunion” freilich nicht. Denn auch der linksgerichtete Anführer sozialer Bewegungen, Juan Grabois, bewirbt sich als Präsidentschaftskandidat für die UxP. Cristina Kirchner stellt sich dagegen offenbar bereits auf eine Zeit in der Opposition ein. Umfragen lassen eine krachende Wahlniederlage der Regierung erwarten (http://observatorio.lapoliticaonline.com/presidente). Die ehemalige Staatschefin und amtierende Vizepräsidentin verzichtete zwar auf eine persönliche Kandidatur, sorgte aber dafür, dass ihre Anhänger landesweit die Kandidatenlisten ihrer “Vaterlandsallianz” dominieren. Vor allem in der bevölkerungsreichsten Provinz Buenos Aires, einer traditionellen Hochburg der Peronisten, scheint die Wiederwahl des Kirchneristen Axel Kicillof als Gouverneur ziemlich gewiss. Für die Präsidentschaftswahlen deutet indes bislang vieles auf einen Sieg der Opposition hin. Bei der größten Oppositionsallianz “Juntos por el Cambio” (JxC), der unter anderem die liberalkonservative PRO-Partei sowie die sozialliberale Traditionspartei UCR angehören, wird es einen spannenden Wettkampf um die Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur geben. Dem amtierenden Regierungschef der Stadt Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta, steht dabei die ehemalige Sicherheitsministerin Patricia Bullrich gegenüber. Larreta gilt als Mann des Konsenses, Bullrich dagegen als wirtschaftsliberale und sicherheitspolitische Hardlinerin. Ex-Präsident Mauricio Macri tritt nicht mehr an, hat aber hinter den Kulissen weiterhin erheblichen Einfluss auf die Partei. Der Shooting Star der argentinischen Politik ist der selbsternannte Anarchokapitalist Javier Milei, der als alleiniger Kandidat für seine Partei “La Libertad Avanza” (Die Freiheit schreitet voran, LLA) ins Rennen geht. Milei will den Staatsapparat drastisch reduzieren, die Zentralbank abschaffen und Argentiniens Wirtschaft von Grund auf deregulieren. Ohne Rücksicht auf den Mercosur will Milei alle Zölle senken. Nach dem Vorbild Trumps und Bolsonaros präsentiert sich Milei als Anti-Politiker, der den Frustrierten und Enttäuschten eine Stimme gibt. Nach zehn Jahren Stagnation und jahrzehntelangem Abstieg im Vergleich zum Rest der Welt sind das viele Bürger in Argentinien, in allen Einkommensschichten und in allen politischen Lagern. Bisher bleibt Milei jedoch eine One-Man-Show, die vornehmlich im Großraum Buenos Aires zieht. Im Inland haben seine Kandidaten bisher wenig Erfolg - soweit Mileis Partei dort überhaupt präsent ist. Unter den politischen Allianzen liegt JxC in den jüngsten Umfragen knapp vor der UxP - und beide recht deutlich vor Mileis "Freiheitspartei”. Auch die Hälfte des Abgeordnetenhauses und ein Drittel der Senatoren werden am 22. Oktober neu gewählt. Aller Voraussicht nach wird keine Partei und kein Bündnis eine eigene Mehrheit im Parlament erreichen. Der nächste Präsident wird also gezwungen sein, Mehrheiten im Parlament zu suchen. Nach Einschätzung etlicher Wirtschafts- und Politikexperten wird es für die nachhaltige Umsetzung von dringend notwendigen Reformen unerlässlich sein, einen breiten Konsens zu schaffen, der eine stabile Mehrheit im Parlament findet. Als Kandidaten, die am ehesten Kompromisse in der politischen Mitte schließen könnten, erscheinen Massa und Larreta prädestiniert. Vor allem Larreta strebt parteiübergreifenden Bündnisse an, Massa müsste sich dafür zuerst vom Kirchnerismus lösen. Die größten Schwierigkeiten, seine disruptiven Pläne umzusetzen, hätte im - eher unwahrscheinlichen - Fall seines Wahlsieges sicherlich der selbsternannte Anarchokapitalist Milei, der jede Zusammenarbeit mit der traditionellen politischen “Kaste” ablehnt. Mileis Partei “La Libertad Avanza" dürfte bei den Wahlen immerhin einige Abgeordnetenmandate erzielen, die dem Mitte-rechts-Lager fehlen könnten. Ein Rechtsbündnis, das den libertären Milei einbindet, wäre am ehesten unter einer Präsidentin Bullrich vorstellbar. Bullrich, die zuweilen ähnlich konfrontative Töne anschlägt wie Milei, hatte zuletzt das größte Momentum in den Meinungsumfragen und könnte in der Lage sein, dem politischen Outsider Milei Stimmen abzujagen. Als “nicht kirchneristischer Peronist” geht zudem der Gouverneur der Provinz Córdoba, Juan Schiaretti, ins Rennen. Er könnte vor allem Massa und Larreta Stimmen wegnehmen. Die Finanzmärkte reagierten auf das Line-up für die Vorwahlen positiv, mit steigenden Kursen für argentinische Aktien und Anleihen. Alle chancenreichen Präsidentschaftskandidaten gelten als “marktfreundlich”, wenn auch in sehr unterschiedlichem Grade. Alle haben sich eine Sanierung der Staatsfinanzen auf die Fahnen geschrieben. Die für einen langfristigen Aufschwung der argentinischen Wirtschaft notwendigen Reformen würden Bullrich und erst recht Milei rascher und tiefgreifender angehen als Larreta oder Massa. Dafür hätten letztere wahrscheinlich bessere Chancen, einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, um einen Reformkurs dauerhaft abzusichern. Die größte Opposition gegen marktorientierte Reformen ist vom Kirchnerismus sowie von den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften zu erwarten. Nicht wenige Beobachter befürchten, dass die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Protestierenden und der Polizei dieser Tage in der Provinz Jujuy nur ein kleiner Vorgeschmack auf das soziale Klima ab 2024 gewesen sein könnten. Kontakt: Carl Moses (Carl.Moses@gmx.net)
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der argentinische Präsident Alberto Fernández haben am 13.06.2023 in Buenos Aires eine Vereinbarung über eine Partnerschaft zwischen der EU und Argentinien im Bereich der nachhaltigen Rohstoff-Wertschöpfungsketten unterzeichnet. Im Einklang mit der Global-Gateway-Strategie der EU zielt das Abkommen darauf ab, die Entwicklung einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit Rohstoffen zu gewährleisten, die für den digitalen Wandel und die Gewinnung sauberer Energie benötigt werden. Es zielt auch darauf ab, eine nachhaltige Rohstoffindustrie zu entwickeln und die Schaffung lokaler Wertschöpfung, hochwertiger Arbeitsplätze und eines nachhaltigen und integrativen Wirtschaftswachstums zum beiderseitigen Nutzen zu unterstützen. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte: "Wir glauben, dass es an der Zeit ist, diese Partnerschaft auf die nächste Stufe zu heben. Wir legen eine neue Agenda vor, um die Beziehungen zwischen Europa, Lateinamerika und der Karibik zu stärken und die globalen Herausforderungen - vom Klimawandel über die Digitalisierung bis hin zum Aufbau integrativer Gesellschaften - gemeinsam zu bewältigen". Weiter betonte sie, dass alle Seiten von dem Abkommen profitieren: „Es ist ein Durchbruch für die Klimaziele der EU und ein Vorteil für Argentinien als wichtiger globaler Akteur bei der Umstellung auf saubere Energie." Die Partnerschaft konzentriert sich auf fünf Bereiche der Zusammenarbeit: Integration in nachhaltige Rohstoff-Wertschöpfungsketten, insbesondere durch gemeinsame Projektentwicklung, neue Geschäftsmodelle und die Förderung und Erleichterung von Handels- und Investitionsbeziehungen; Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung und Innovation entlang der Rohstoffwertschöpfungsketten, einschließlich Wissen über Mineralien, Minimierung des ökologischen und klimatischen Fußabdrucks und Kreislaufwirtschaft; Zusammenarbeit zur Förderung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) und zur Einhaltung internationaler Standards; Einsatz von physischen und immateriellen Infrastrukturen für die Entwicklung von Projekten, die deren Umwelt- und Klimaauswirkungen minimieren; Kapazitätsaufbau, berufliche Aus- und Weiterbildung und Kompetenzentwicklung entlang nachhaltiger Rohstoffwertschöpfungsketten im Einklang mit internationalen Arbeitsnormen. Die EU und Argentinien haben sich verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Unterzeichnung der Absichtserklärung einen operativen Fahrplan auszuarbeiten. Der Fahrplan wird Kooperationsmaßnahmen enthalten, die von den einschlägigen Akteuren in den EU-Mitgliedstaaten und Argentinien durchgeführt werden sollen. Erstes Wirtschaftsforum EU-Argentinien Im Rahmen des Besuchs von Ursula von der Leyen in Argentinien und auf der Grundlage, der von der Delegation der EU in Argentinien geleisteten Arbeit fand das erste Wirtschaftsforum EU-Argentinien statt, um einen Beitrag zum wirtschaftlichen Integrationsprozess zu leisten, das Potenzial für die weitere Entwicklung auszuloten und über die gemeinsamen Herausforderungen nachzudenken. Dieses Forum wurde gemeinsam mit der argentinischen Eurokammer organisiert. Die Veranstaltung befasste sich in verschiedenen thematischen Diskussionsrunden mit einigen der Prioritäten der EU auf globaler und lokaler Ebene, darunter Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Energie und andere. Darüber hinaus fand im Rahmen des Forums die Messe "Green & Digital Entrepreneurs" statt, bei der sich verschiedene lokale nachhaltige Projekte vorstellten, von denen eine Reihe auch durch die EU unterstützt werden. Zum Abschluss der Veranstaltung wies von der Leyen auf die Investitionspläne der EU in Lateinamerika und der Karibik hin: "Wir verdoppeln unsere Investitionen für Projekte in der Region. Wir werden 10 Mrd. Euro zur Verfügung stellen, und dies wird durch den Beitrag unserer Mitgliedstaaten und natürlich durch den Beitrag des privaten Investitionssektors ergänzt". Kontakt: Julieta Barra / jbarra@ahkargentina.com.ar