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Was wird aus dem Peso? Das Währungssystem als Wahlkampfthema

22.09.2023

Die Abschaffung des Peso und die Einführung des Dollar in Argentinien ist einer der größten Wahlkampfschlager von Javier Milei, dem überraschenden Sieger der Vorwahlen. Die anderen Kandidaten für die Präsidentenwahl lehnen dies ab. Die eigentliche Grundfrage ist eine andere: Wie saniert man die Staatsfinanzen? Und wer kann das umsetzen?

“Qué hacemos con los pesos?” - Was machen wir mit den Pesos? So heißt eine der vielen TV-Sendungen, die sich Tag für Tag in Argentinien mit Wirtschaftsthemen befassen. Meist geht es darum, wie sich die Verbraucher gegen den ständigen Kaufkraftverlust ihrer Peso-Einkommen schützen können. Die “in der Hand brennenden” Pesos so schnell wie möglich loszuwerden ist angesichts der immer schneller galoppierenden Inflation zur Regel Nummer eins geworden. Nur so ist zu erklären, dass der Absatz von Waren des Grundbedarfs in Argentinien unmittelbar in die Höhe schoss, nachdem die Regierung Mitte August eine Abwertung des offiziellen Peso um 22 Prozent verfügt hatte. Immer schneller dreht sich die Spirale aus Abwertung, Inflation und Löhnen. Letztere hinken gewöhnlich hinterher - seit 2017 sind die Reallöhne um 27 Prozent gefallen, kalkuliert die Beratungsfirma Ecolatina. Um irgendwie über die Runden zu kommen, gehen immer mehr Mitglieder eines Haushalts arbeiten, zeigt die Arbeitsmarktstatistik.

Was aus dem Peso werden soll, ist gleichsam zu einem Kernthema des Wahlkampfs für die Präsidentenwahlen im Oktober (und einer möglichen Stichwahl im November) geworden. Vor allem für den libertären Kandidaten Javier Milei, der nach seinem überraschenden Sieg bei den Vorwahlen nun als Favorit gilt, ist die “Dollarisierung” neben einer Entmachtung der “Kaste” - so nennt Milei das Establishment in Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Medien - zum wichtigsten Leitmotiv geworden.

Eine Mehrheit von Ökonomen im In- und Ausland lehnt die Übernahme des Dollar als Landeswährung in Argentinien freilich ab. Nicht nur, weil Argentinien gar nicht über die notwendigen Dollarreserven verfüge, um die umlaufenden Pesos und Bankguthaben in Dollar umtauschen zu können. Vielmehr sei der Dollar grundsätzlich für Argentinien als Währung nicht geeignet, weil die argentinische Volkswirtschaft kaum mit jener der USA verbunden sei. Dies aber gilt in der Wirtschaftstheorie als Grundvoraussetzung für einen “optimalen Währungsraum”. Zudem könnten weltwirtschaftliche Schocks wie ein Rückgang der Exportpreise nicht mehr durch eine Abwertung des Peso abgefedert werden. Noch stärkere Ausschläge der Konjunktur wären die Folge. Rund 200 argentinische Ökonomen warnten Mitte September in einem offenen Brief, die von Milei propagierte Dollarisierung sei eine “Fata Morgana”, “eine falsche Abkürzung”, die Argentinien “nur zu einer neuen und noch dramatischeren Frustration” führen würde. Das Beispiel Ecuador zeigt, dass die Dollarisierung allein nicht für Wirtschaftswachstum und solide Staatsfinanzen sorgt.

Selbst Javier Milei ist von seinem Wahlkampfschlager mittlerweile ein wenig abgerückt. Er wolle keine Implementierung des Dollar als Landeswährung, sondern einen freien “Wettbewerb der Währungen”. An dem Plan, die Zentralbank zu schließen, hält der selbst ernannte Anarchokapitalist bislang fest. Unter den Milei nahestehenden Ökonomen kursieren derweil unterschiedliche Vorschläge für die Währungsreform. Was am Ende gilt, weiss niemand. In jedem Fall setzt Milei auf die Rückkehr der im Ausland, in Banksafes oder in Sparstrümpfen gehorteten Dollars in das heimische Finanzsystem, um die Währungsumstellung finanzieren zu können. Der Umtausch von Pesos in Dollar (oder andere Währungen) werde “zum Marktkurs” erfolgen.

Auch Milei dürfte allerdings kaum bereit sein, freiwillig die hohen politischen und sozialen Kosten in Kauf zu nehmen, die eine sofortige Umstellung von Peso auf den Dollar unter den gegebenen Umständen fehlender Reserven und hoher Pesoschulden bedeuten würde. Die geplante Umstellung des Währungssystems könne bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen, heißt es jetzt. Eine drastische Abwertung des Peso und die Restrukturierung von Schulden würde sonst wohl kaum zu vermeiden sein. Immer mehr Ökonomen sehen allerdings inzwischen das Risiko einer Hyperinflation, die Pesoschulden und -guthaben so stark entwerten könnte, dass ein Umtausch in Dollars eher möglich wäre - ähnlich wie bei der Hyperinflation von 1989 und 1990, die seinerzeit den Weg für die 1991 eingeführte Eins-zu-eins-Bindung der argentinischen Währung an den Dollar bereitet hatte.

Auch die konservative Oppositionskandidatin Patricia Bullrich befürwortet eine Währungsreform hin zu einem bi-monetären System, bei dem der Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel neben den Peso treten soll. Bullrichs Schatten-Wirtschaftsminister Carlos Melconian betont jedoch, die Währungsreform sei lediglich ein kleiner Teil eines umfassenden Reformprogramms, das alle Bereiche der Wirtschaft erfassen solle. Im Mittelpunkt stehe die Beseitigung des Staatsdefizits, das Melconian wie viele andere Ökonomen als Hauptursache der Inflation ansieht. Auch der ehemalige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo, Vater der Dollarbindung in den 1990er Jahren, rät von einer weiteren Maxi-Abwertung ab, solange das Staatsdefizit nicht ausgemerzt sei. Die Abwertung bewirke sonst bloß einen entsprechenden Anstieg der Verbraucherpreise, was zu sozialen Unruhen und dem frühzeitigen Verlust des Vertrauens in die Regierung führen könne.

Wirtschaftsminister Sergio Massa, der sich für die regierenden Peronisten um die Präsidentschaft bewirbt, schraubt das Staatsdefizit derweil durch im Tagesrhythmus verkündete Wahlgeschenke immer weiter in die Höhe. Der renommierte Wirtschaftsberater Miguel Angel Broda kalkuliert als Erbe der Regierung ein Staatsdefizit von mehr als 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sowie ein “quasifiskalisches” Defizit der Zentralbank von 12 Prozent des BIP. Da Argentinien von Krediten weitgehend ausgeschlossen ist, erfordere dies eine immer höhere Geldschöpfung, die im Extremfall zur Hyperinflation führen könne.

Alle aussichtsreichen Kandidaten - auch Massa - haben sich für 2024 einen mehr oder weniger drastischen Abbau der Staatsausgaben auf die Fahnen geschrieben. Die Frage ist, wer am ehesten in der Lage wäre, seine Pläne im Falle eines Wahlsieges tatsächlich umzusetzen. Denn egal wer gewinnt, aller Voraussicht nach wird keiner der Kandidaten über eine Mehrheit im Parlament verfügen. Besonders schwach wäre die Position des Überraschungsfavoriten Milei, der auf die Unterstützung von großen Teilen der verhassten "Kaste" angewiesen wäre. 

Theoretisch zumindest dürfte es im neuen Kongress immerhin eine klare Mehrheit für stabilitätsorientierte und marktfreundliche Reformen geben. Zudem darf die nächste Regierung bei allen Währungs- und Finanzproblemen auf kräftigen Rückenwind für die Realwirtschaft hoffen. Allein die Normalisierung der Agrarproduktion nach der verheerenden Dürre dieses Jahres dürfte die Lage am Devisenmarkt entspannen und den zumindest anfangs zu erwartenden Einbruch der Konjunktur 2024 abfedern. Mittel- und langfristig gibt es Grund für Optimismus. Argentiniens Potential im Energiesektor oder bei kritischen Rohstoffen, die für die globale Energiewende benötigt werden, ist immens. Der altgediente Wirtschaftsguru Broda meint: “Bei einer Stabilisierung der Makroökonomie ist es kaum möglich, dass es Argentinien nicht gut ergehen wird.“

Kontakt: Carl Moses (Carl.Moses@gmx.net)