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Argentinien lässt sich Zeit

26.03.2021

Einiges deutet darauf hin, dass Argentiniens Wirtschaft ohne größere Turbulenzen und sogar mit einem leichten Aufschwung zu den Parlamentswahlen im Oktober kommen könnte. Wie es danach weitergeht, ist allerdings recht unklar. Das Abkommen mit dem IWF muss vorerst warten. Die Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik hält damit an. Gleichwohl bieten sich deutsche Unternehmen als Zukunftspartner für Innovation und Nachhaltigkeit an.-
Von Carl Moses|GTAI-Korrespondent in Buenos Aires.

“Dios es Argentino” sagt man in Argentinien gerne, wenn sich die Dinge unverhofft günstig für das Land entwickeln. Dieses “Gott ist Argentinier” war in den vergangenen Wochen wieder häufiger zu hören. Der starke Anstieg der Preise für Soja, Mais und andere wichtige Exportprodukte Argentiniens spült zusätzliche Deviseneinnahmen ins Land und üppige Zusatzeinnahmen in die Staatskasse. Stärkere Regenfälle als erwartet mildern die Trockenheit und halten die Ernteeinbußen in Grenzen. Ein warmer Dollarregen winkt auch in Gestalt der zusätzlichen Liquidität, die der Internationale Währungsfonds (IWF) durch die Ausgabe von Sonderziehungsrechten über 650 Milliarden Dollar global zur Verfügung stellen will. Für Argentinien würden dabei 4,3 Milliarden Dollar abfallen, die ohne Konditionierung zur Verfügung stünden und fällige Zahlungen an den Pariser Club decken könnten.

Die Prognosen für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2021 haben haben sich in vier Monaten von 4,5 auf mehr als 6 Prozent verbessert, Tendenz weiter steigend. Vor allem die Bauwirtschaft und die Kfz-Industrie erleben eine V-artige Erholung von dem Einbruch des vergangenen Jahres, in dem das BIP um 10 Prozent gesunken war. Voraussetzung für den erwarteten Aufschwung ist eine relativ geringe Auswirkung der neuen Covid-19-Welle, die für den beginnenden Herbst und Winter der Südhalbkugel erwartet wird und in Argentiniens Nachbarländern bereits mit voller Kraft rollt. In Argentinien war die 7-Tage-Inzidenz Ende März 2021 ähnlich hoch wie in Deutschland, beim Impfen liegt das Pampaland noch weit zurück. Beim gegenwärtigen Impftempo wäre in Argentinien zum Winteranfang im Juni bestenfalls ein Viertel der Bevölkerung mit wenigstens einer Dosis geimpft.

Wirtschaftsminister Martín Guzmán ist es in den letzten Monaten gelungen, die Abwertung des Pesos auf den verschiedenen offiziellen und parallelen Devisenmärkten einzudämmen. Im laufenden Jahr will Guzmán die Abwertung des offiziellen Peso-Kurses auf 25 Prozent begrenzen, um so einen Anker für die Inflation zu setzen. Da diese Währungspolitik bisher jedoch nicht von einer klaren Perspektive zur Sanierung des Staatshaushalts begleitet wird, sehen unabhängige Ökonomen die Inflationsrate weiterhin bei mehr als 40 Prozent. Argentiniens Regierung scheint den internationalen Rückenwind nutzen zu wollen, um schmerzhafte Maßnahmen wie die überfällige Anpassung von regulierten Preisen und Tarifen bis nach den Parlamentswahlen Ende Oktober aufzuschieben. Das zunächst für März, dann für Mai angepeilte IWF-Abkommen zur Refinanzierung von 46 Milliarden Dollar Schulden gegenüber dem Währungsfonds könnte sich darum entsprechend weiter verzögern. Derzeit gehen Analysten davon aus, dass auch ohne Abkommen mit dem IWF ein Zahlungsausfall gegenüber dem Pariser Club verhindert werden kann und die 2021 fälligen Zahlungen an den IWF ebenso pünktlich geleistet werden. Wichtiger als der Zeitpunkt sei die Qualität des Abkommens, in dem Vertrauen schaffende Leitlinien für die Wirtschaftspolitik festgezurrt werden könnten.

Wirtschaftsminister Guzmán verspricht "Vorhersehbarkeit und klare Spielregeln, die ein Umfeld begünstigen, das wirtschaftlichen Entscheidungen förderlich ist." Doch innerhalb der Regierung wird um den wirtschaftspolitischen Kurs offenbar noch gerungen. Nach Einschätzung vieler Beobachter wird die Wirtschaftspolitik immer deutlicher vom Lager der Vizepräsidentin Cristina Kirchner bestimmt. Diese hatte vorgegeben, dass die Tarife für Strom und Gas im Wahljahr 2021 nicht bedeutend angehoben werden dürfen, und dass Löhne und Renten stärker steigen sollen als die Inflation. Auch die Steuerpolitik ist auf die Ankurbelung des Konsums ausgerichtet. Eine geplante Reform der sogenannten Gewinnsteuer, die der deutschen Lohn- und Einkommensteuer entspricht, sieht höhere Freibeträge für Lohn- und Gehaltsempfänger vor, die durch erhöhte Steuern auf die Unternehmensgewinne finanziert werden sollen. Zusammen mit der Sonderabgabe auf Vermögen wird die Steuerbelastung der Wirtschaft somit abermals steigen.

Vorhersehbar ist in jedem Fall, dass Devisen in Argentinien auf absehbare Zeit knapp bleiben werden. Der stockende Zugang zu Devisen sowie Verzögerungen bei der Erteilung von Importlizenzen gehören zu den häufigsten Klagen der Unternehmen. Sorge bereitet auch die Einführung des Informationssystems SIPRE, bei dem große Unternehmen monatlich Angaben zu Preisen, Kosten, Lagerbeständen und anderen Daten an die Regierung übermitteln müssen. Das neue Kontrollsystem erhöht nicht nur den bürokratischen Aufwand der Unternehmen. Es nährt auch die Befürchtung, der Staat könne künftig noch stärker in die Preisgestaltung und andere Entscheidungen der Unternehmen eingreifen.

Dass die Rahmenbedingungen vorerst schwierig bleiben, bedeutet nicht, dass man in Argentinien nicht trotzdem gute Geschäfte machen kann. In einem Webinar der AHK und der LEG Thüringen gaben Unternehmensvertreter kürzlich praktische Tipps, wie man trotz der Widrigkeiten des Geschäftsumfelds in Argentinien erfolgreich wirtschaften kann (https://www.thueringen-international.de/cafe-international#argentinien). Es brauche “vor allem Ausdauer und Flexibilität”, erklärte Cristina Arheit von dem mittelständischen Metallverarbeiter SinPar, der die lokale Produktion mit zahlreichen Importvertretungen kombiniert. In Argentinien müsse man “mit einem eckigen Ball Fußball spielen können”, veranschaulicht Nelson Visioli vom Industrieelektronik-Hersteller Phoenix Contact. Wichtig sei es, statt Massenware differenzierte Qualitätsprodukte anzubieten, eine entsprechende Vertriebsstrategie zu fahren und alle Risiken von vorneherein in Preisen und Margen einzukalkulieren. Dann komme man in Argentinien gut zurecht.

Bei einem Treffen mit Produktionsminister Matias Kulfas unterbreiteten Vertreter deutscher Unternehmen in Argentinien im Februar konkrete Angebote für die langfristige Zusammenarbeit bei Innovation und Nachhaltigkeit. Große Chancen sieht Gastón Diaz Perez, Chef von Robert Bosch Argentina, in der durch die Pandemie beschleunigten Digitalisierung. Argentinien habe auf diesem Gebiet “viele Talente anzubieten”. Ein besonders großes Potenzial für digitale Innovationen bestehe im Gesundheitsbereich, erklärte Christophe Dumont, CEO von Bayer für die Region Cono Sur dieser Tage beim AHK-Webinar “Vision 2021”. Optimistisch mache ihn die gute Entwicklung der Agrarindustrie. “Wenn es der Landwirtschaft gut geht, geht es Argentinien gut”, so Dumont.

Die Regierung müsse den Unternehmen allerdings “helfen, statt neue Hürden aufzubauen”, mahnte der Bayer-Chef. Siemens Energy nutze die Durststrecke der Pandemie um langfristige Projekte voranzutreiben, erklärte Javier Pastorino, CEO des Unternehmens für Argentinien und Präsident der AHK Argentinien. “Auf lange Sicht” seien die Perspektiven “super positiv”, so Pastorino. Bei der Entwicklung von grünem Wasserstoff könne Argentinien dem Beispiel Chiles folgen, wo im Rahmen einer Energiepartnerschaft mit Deutschland bereits ein erstes Pilotprojekt durchgeführt werde. Argentinien habe ein “drei- bis viermal so großes Potenzial” wie das Nachbarland, glaubt Pastorino, der für Siemens Energy auch das Geschäft in Chile und Uruguay leitet. Der größte Engpassfaktor bei allen Energieprojekten sei das große Risiko für Finanzierungen in Argentinien. Das geplante Abkommen mit dem IWF könnte da vielleicht Abhilfe schaffen.

Carl Moses

Kontakt: Carl Moses, GTAI